top of page

Erschwerter Zugang zu 200 μg Misoprostol stellt weiterhin ein Problem dar

Offener Brief


Sehr geehrter Herr Prof. Lauterbach,

sehr geehrter Herr Prof. Broich, sehr geehrter Herr Prof. Knöss,

die unterzeichnenden Organisationen setzen sich für die Gesundheitsversorgung von Frauen ein.

Mit großer Sorge haben wir im April 2021 die Information zur Kenntnis genommen, dass Misoprostol in der Darreichungsform mit 200 μg nur noch unter erschwerten Bedingungen nach Deutschland eingeführt werden kann und davor gewarnt, dass es dadurch zu Versorgungsschwierigkeiten kommen werde. Misoprostol (in der Darreichungsform mit 200 μg) hat sich in den letzten Jahrzehnten als Standardmedikament in der Gynäkologie z.B. bei Fehlgeburten oder Schwangerschaftsabbrüchen etabliert. Dabei ist die Dosierung mit 200 μg entscheidend und nicht durch andere Darreichungsformen zu ersetzen. Seit diese Dosierung in Deutschland vom Markt genommen wurde, ist es nur über den Import erhältlich. Durch die weitere Erschwernis wird die Verwendung von 200 μg Misoprostol in manchen Regionen praktisch unmöglich. Es erreichen uns zahlreiche Anfragen von Ärzt*innen, über welche Umwege sie 200 μg Misoprostol aus dem Ausland erwerben können, weil die Apotheken sie nicht mehr beliefern. Dieser Zustand ist für Deutschland beschämend.

Gemeinsam mit 16 weiteren Organisationen und Verbänden haben wir uns am 16.04.2021 bereits einmal mit einem offenen Brief1 an das damalige Bundesgesundheitsministerium und das BfArM gewandt und unsere Sorgen in Bezug auf den erschwerten Zugang zu 200 μg Misoprostol formuliert. Vom Gesundheitsministerium haben wir daraufhin ein nicht zufriedenstellendes Antwortschreiben2 erhalten, in der die Versorgungslage für ausreichend erklärt wurde. Auch die kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther3 ergab eine ähnliche Antwort. Nach der Neubesetzung der Ministerien wenden wir uns deshalb erneut an Sie mit der Bitte, die Entscheidung zu überdenken.

Die WHO hat den Wirkstoff Misoprostol schon vor zehn Jahren auf ihre “Essentielle Liste” gesetzt. Diese Liste beinhaltet die effektivsten und sichersten Medikamente, um die wichtigsten Bedürfnisse für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem zu bedienen. So sollte es im Interesse einer modernen Versorgung in der Gynäkologie und Geburtshilfe sein, Misoprostol in allen relevanten Dosierungen ohne Einschränkungen in Deutschland zugänglich zu machen. Es ist für Deutschland nicht tragbar, den Zugang zu einem essentiellen Medikament deutlich zu erschweren.

Misoprostol wird weltweit in der Dosierung von 200 μg für viele Indikationen in der Gynäkologie und Geburtshilfe eingesetzt und deshalb dringend benötigt:

  • Vorbereitung des Muttermundes bei einem intrauterinen Eingriff z.B. beim Einlegen einer intrauterinen Spirale zur Antikonzeption, oder bei Gebärmutterspiegelungen und Ausschabungen. Vor dem Einlegen wird Misoprostol verwendet, um den Eingriff unkomplizierter und weniger schmerzhaft zu machen.

  • Bei einem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch oder der medikamentösen Behandlung einer verhaltenen Fehlgeburt werden zwei Medikamente eingesetzt: Mifepriston und Misoprostol. Für die empfohlene Dosierung gibt es internationale Leitlinien. In Deutschland werden pro Jahr ca. 35.000 Schwangerschaftsabbrüche mit dieser schonenden Methode durchgeführt. Frauen können jedoch nur dann eine nicht- operative Methode wählen, wenn der Zugang zu Misoprostol in entsprechender Dosierung zur Verfügung steht. Dadurch werden Verletzungen des Muttermundes vermindert und Komplikationen in Folgeschwangerschaften wie Frühgeburten verhindert

  • Auch zur Behandlung von Schwangeren mit intrauterinem Fruchttod ist Misoprostol in der Dosierung 200 μg erforderlich

  • Außerdem wird diese Dosierung bei postpartaler oder postoperativer Blutung eingesetzt.

Als Alternative zum 200μg-Präparat stehen uns nur zwei Misoprostol-Präparate zur Verfügung:

  • MisoOne®: MisoOne® gibt es nur in einer Dosierung von 400 μg. Vor kleinen operativen Eingriffen wird eine Dosierung von 200 μg benötigt. Bei der Anwendung von MisoOne® müsste also die im Zusammenhang mit Misoprostol zu Recht kritisierte Teilung von Tabletten erfolgen. Zudem ist der bürokratische Aufwand bei der Anwendung von MisoOne® sehr hoch. Dies ist für ein routinemäßig benötigtes Medikement nicht akzeptabel und kann dazu führen, dass weniger Praxen den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anbieten.

  • Angusta®: Das seit September 2021 in Deutschland eingeführte Medikament, welches zur Geburtseinleitung zugelassen ist, ist mit 25 μg für die meisten oben genannten Indikationen deutlich zu niedrig dosiert und teuer. Für die in der AWMF-Leitlinie empfohlene Therapie bei gestörter Frühschwangerschaft4 oder beim Schwangerschaftsabbruch5 von 800 μg würden 32 Tabletten benötigt bei einem Kostenpunkt von 100 € (statt 0,60 €).

Beide Präparate sind also keine ausreichende Alternative zur 200 μg Dosierung in den oben genannten Indikationen.Gleichzeitig wird der Hersteller von Misoprostol (in der Darreichungsform mit 200 μg) keinen Anreiz haben, eine teure formale Zulassung zu beantragen, denn es wird bereits in der jetzigen Darreichung weltweit benutzt. Einerseits als Magenmittel und im Off-Label-Use in der Gynäkologie und Geburtshilfe.

Eine Erschwerung des Zugangs zu Misoprostol (in der Darreichungsform mit 200 μg) ist die falsche Konsequenz. In der Folge wird die medizinische Betreuung von Frauen schlechter! Die Betreuung von Frauen in Notsituationen (insbesondere solchen, die tabuisiert sind) ist gefährdet!

Wir fordern Sie daher auf, die Versorgung der Frauen in Deutschland mit Misoprostol in den jeweils benötigten Dosierungen zu gewährleisten und den erschwerten Zugang zu Misoprostol zurückzunehmen.

Quellen:

  1. Offener Brief “ Erschwerter Zugang zu Cytotec® (Wirkstoff: 200 μg Misoprostol)”, einsehbar unter https://doctorsforchoice.de/wp-content/uploads/2021/04/Offener- Brief-Cytotec_final.pdf

  2. Antwortschreiben Bundesgesundheitsministerium vom 25.05.2021, einsehbar unter https://doctorsforchoice.de/wp- content/uploads/2022/05/ZugangCytotec_ResponseBMG_20210525.pdf.

  3. Schriftliche Anfrage Dr. Kirsten Kappert-Gonther an die Bundesregierung, Drucksache 19/2911, einsehbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/19/291/1929166.pdf.

  4. S2k-Leitlinie Geburtseinleitung (Registernummer 015 - 088) vom 01.12.20, einsehbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-088.html.

  5. S2k-Leitlinie Schwangerschaftsabbruch im 1. Trimenon (Registernummer 015 - 094) vom 26.01.23, einsehbar unter https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-094


bottom of page