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Kolumne unseres Listenmitgliedes Bernd Hontschik zu aktuellen Entwicklungen in der Pharmabranche

Frankfurter Rundschau; Samstag, 13.01.2024 „Dr. Hontschiks Diagnose“


Nach Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie lieber nicht

Die Pharmaindustrie muss enteignet werden

Die Medizin wird immer und überall mit dem Medikament gleichgesetzt. Oder verwechselt. Man nimmt seine Medizin ein. Um die Medizin, also das Medikament, dreht sich alles. Die Medizin, also die Heilkunde, wird auf die Medizin, also auf das Medikament, reduziert. Das ist das Pfund der Pharmaindustrie, die Basis ihrer Macht. Der Pharmaindustrie ist man ausgeliefert. Sogar Regierungen sind ihr ausgeliefert und gehen in die Knie, wenn sie beispielsweise durch die Zwänge einer Pandemie erpressbar geworden sind. Dann kaufen sie Impfstoffe zu Mondpreisen. Dann schließen sie Kaufverträge ab mit Geheimhaltungsklauseln über Lieferbedingungen und Preisgestaltung. Dann stellen sie die Hersteller von jeder Haftung frei, falls es zu unerwünschten Wirkungen kommt. Es ist ein Leichtes für Pharmaunternehmen, die Gesundheitspolitik ganzer Staaten zu beeinflussen.


Erfundene Krankheiten („Disease Mongering“), Anwendungsbeobachtungen, intransparente Lobbyarbeit, illegale Preisabsprachen, irreführende Werbung - die Liste der Tricks und Täuschungen könnte beliebig verlängert wer- den. Aber es kommt noch schlimmer. Manipulation oder Unterdrückung von Studiendaten, gekaufte Wissenschaftler, Erpressung, Verleumdung und Menschenversuche mit katastrophalem Ausgang: Es gibt wohl kaum ein Verbrechen, dessen sich die Pharmaindustrie weltweit noch nicht schuldig gemacht hat. „Zwei Drittel aller Pharmafirmen (sind) von Wirtschaftskriminalität betroffen“, stellen selbst weniger kritische Beobachter wie die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers fest. Der Pharmakonzern Glaxo- SmithKline war zwischen 2003 und 2016 allein in den USA mit 27 verlorenen Prozessen und fast zehn Milliarden Dollar Strafzahlungen Spitzenreiter bei den Verurteilungen in Verfahren um überhöhte Preise, Zulassungsverstöße, Schmiergelder, irreführende Werbung, Verschweigen negativer Untersuchungsergebnisse, Umweltverschmutzung, Bestechung, Steuerbetrug und Insidergeschäften. Unter den 22 untersuchten Firmen waren mit Bayer (13 Verstöße und 603 Millionen US$ Bußgelder) und Boehringer Ingel- heim (7 Verstöße und 416 Millionen US$ Bußgelder) auch zwei deutsche Firmen. Die Gesamtsumme der Strafzahlungen in diesem Zeitraum belief sich allein in den USA auf 33 Milliarden Dollar. Die wenigen gigantischen Großkonzerne, salopp Big Pharma genannt, welche die Arzneimittelproduktion und -distribution der ganzen Welt in ihren Händen halten, verfügen über einen derart immensen Reichtum, dass diese Strafzahlungen gerade einmal 1,5 Prozent ihrer Umsätze ausmachen und aus der Portokasse beglichen werden.


Entgegen einer weit verbreiteten Meinung verdanken wir fast alle Fortschritte der medikamentösen Behandlung von Krankheiten Wissenschaftlern in Universitäten und begnadeten einzelnen Forschern, nicht aber den Laboren der Pharmaindustrie. Die Pharmaindustrie kauft solche Erkenntnisse lediglich auf und weiß sie als eigene Leistungen („Ihre forschende Arzneimittelindustrie“) zu verkaufen, weiß sie vor allen Dingen gewinnbringend zu vermarkten. Dabei geht es weder um Anstand noch um Moral oder gar um unsere Gesundheit. Es geht nur um Geld, um sonst nichts.


In den letzten drei Jahren ist es zu einer weiteren Verrohung der Sitten gekommen. In der allgemeinen Coronahysterie ist das kaum bemerkt worden, denn die Pharmafirmen waren plötzlich die Retter der Menschheit. Korruption und Interessenkonflikte waren keine Erwähnung mehr wert. Über lukrative Geschäftsverbindungen zwischen Virologen, Test-Herstellern und Impfstoffproduzenten erfuhr man nichts. Wer solches zur Diskussion stellte, gehörte sogleich zur Gruppe „Querdenker“ und wurde vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Aber nicht nur das: Die Haftungsbefreiung war ein nie zuvor dagewesener, ein beispielloser Vorgang. Und keine einzige Pharmafirma sah sich genötigt, die staatlichen Subventionen, die zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe nötig waren, zurückzuzahlen, als die Gewinne sprudelten. Und trotz dieser exorbitanten Gewinne gelingt es der Pharmalobby nach wie vor, mit Hilfe von Patentblockaden ihr lukratives Produktionsmonopol zu sichern, auf Kosten der Armen dieser Welt.


Das Konzept der Daseinsvorsorge, die Idee des Gemeingutes, das in staatlicher Hand sein muss, frei von Profitinteressen, ist in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr abhanden gekommen. Nichts ist dadurch besser geworden, im Gegenteil. Bahn, Wohnungen und Krankenhäuser, alles wurde verscherbelt, Privatisierungen nahmen überhand. Auch die Versorgung mit Medikamenten gehört selbstverständlich zur Daseinsvorsorge. Also wäre die Vergesellschaftung der Pharmaindustrie die einzig logische Konsequenz. Eine solche Politik ist aber nirgendwo in Sicht.


Weiterlesen: Schaaber, Jörg: Pillen-Poker - Wie uns die Pharmaindustrie schadet und was man dagegen tun kann. medizinHuman Band 17, Suhrkamp Taschenbuch 5241, Berlin 2023

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