Bericht von der Klausurtagung der Liste demokratischer Ärztinnen und Ärzte (LDÄÄ) in der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) am 29.01.22
Am 29.01. fand die diesjährige Frühjahrsklausurtagung der LDÄÄ in dem momentan wenig geliebten Online-Format statt. Der Vormittag war der Klimakrise deren Rolle in unserer Kammerpolitik gewidmet. Nachmittags beschäftigten wir uns vorwiegend der praktischen Umsetzung unserer Politik. In wechselnden Konstellationen nahmen 10- 12 Personen an dem Treffen teil.
Pierre Frevert (LDÄÄ-Delegierter und Mitglied bei Health for Future Frankfurt/Gießen und KLUG) hielt ein ausführliches Einführungsreferat mit dem Titel: Klimaschutz ist Gesundheitsschutz – Vorschläge für Klimaschutzaktivitäten in der Landesärztekammer Hessen und davon ausgehend für das Gesundheitswesen in Hessen. Das Referat kann hier nur ganz kursorisch dargestellt werden kann. Ausgehend von dem Bericht des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 wurde die Diskussionen der letzten Jahrzehnte im Hinblick auf die ökologische Krise und insbesondere die Klimakrise gestreift. Diese wirkt sich im Zusammenspiel mit anderen planetaren Krisen wie der Umweltverschmutzung und abnehmende Biodiversität auch nachhaltig auf die globale Gesundheit und die Funktionalität der Gesundheitssysteme aus. Daher ist ein Engagement von Ärzt*innen dringend geboten. Der 125. Deutsche Ärztetag im November vergangen Jahres hat sich erstmals schwerpunktmäßig der Thematik angenommen und eine klimaneutrale Bundesärztekammer und ein klimaneutrales Gesundheitswesen bis zum Jahr 2030 gefordert. Allerdings erhielten bei dem Ärztetag auch politisch weitergehende Anträge mittels Vorstandsüberweisungen eine Beerdigung zweiter Klasse. Pierre Frevert leitet daraus vier Handlungsfelder für die Arbeit in der LÄKH ab.
Klimaneutrale Landesärztekammer bis zum Jahr 2030
Unterstützung klimafreundlicher Umwandlung von Kliniken und Praxen
Förderung nachhaltiger Investitionen des Versorgungswerkes
Forderung nach klimafreundlicher und gesunder Umgebung auf Landes- und kommunaler Ebene
Umsetzungsstrategien wurden an Beispielen dargestellt. Als wichtige Kooperationspartner nannte er dabei Health for Future, Scientists f. F., Parents f. F., KLUG, Netzwerk Ärztinnen und Ärzte in sozialer Verantwortung (SIGNAL-Liste) u.a.
Bernhard Winter möchte mit seiner Einlassung das Themenfeld erweitern:
Er beschrieb die aktuelle Ausgangslage wie folgt: Selbst bei dem 1,5° Klimaziel wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kipppunkt (Schmelzen der Arktis, Abtauen des Permafrostes, Abtauen des Festlandeises etc.) erreicht wird, mit 1% berechnet. Der letzte naturwissenschaftliche Bericht des Weltklimarates (IPCC) geht in seinen Modellierungen davon aus, dass bestenfalls eine Temperaturerhöhung von 1,6° erreicht werden können. Bisher ist es weltweit nicht einmal gelungen CO2- Emissionen einzusparen. Bei all dem haben wir keine Zeit mehr ... Das zentrale Problem sei, dass es bisher keine kapitalistische Ökonomie gibt, die nicht auf Wachstum basiert. Diese Essentials sollten zentraler Ausgangspunkt unserer Überlegungen sein, wobei es nicht darum geht jemanden Angst zu machen, aber sehr wohl darum der Realität ins Auge zu blicken.
Was bedeutet das für die Kammerarbeit? Klimaneutralität von Kammern und Gesundheitswesen sind notwendig und die Anstrengungen dafür unbedingt anerkennungswert, aber dennoch wären sie auch bei kompletter Umsetzung keinesfalls hinreichend. Die Perspektive, dass da mehr kommen muss darf nicht aus den Augen verloren werden. Z. B. Kritik an der Ressourcenverschwendung, Kritik an der Ausrichtung an High-Tech-Medizin etc. Dies würde dann auch zu einer besseren Medizin führen.
Ärzt*innen müssen gegenüber der Bevölkerung klar artikulieren, dass auch bei einer Ausrichtung des Gesundheitswesens auf die Folgen der Klimakrise, ihnen nur sehr bedingt wir geholfen werden können.
Ist die Kammer überhaupt das richtige Tätigkeitsfeld um für eine Neuausrichtung der Medizin zu streiten? Ja durchaus neben vielen anderen gesellschaftlichen Feldern. Die Gegenseite in der Kammer hat das längst verstanden in dem sie jetzt das Thema Klimakrise als zentrales gesundheitspolitisches Thema anerkennt, aber darauf lediglich mit Alibiaktivitäten reagiert.
Das Thema des Zwangs zum ökonomischen Wachstum spielte auch in der Diskussion eine zentrale Rolle.
Es wurde auf die Wachstumsproblematik in Schwellenländern und in China hingewiesen. Dabei kommt es zu einem Spagat zwischen sozialer Gerechtigkeit in der Angleichung von Lebensverhältnissen und der Umweltzerstörung durch ein Wachstumsdiktat. Kann Klimaneutralität unter der Berücksichtigung der sozialen Frage überhaupt gelingen? Womit die Frage der Klimagerechtigkeit gestellt ist. Global gesehen ergäbe sich die Frage, welche Privilegien wir dabei abgeben müssten? Auch ist zu hinterfragen, welche Auswirkungen Strategien der Klimaneutralität in den Industriestaaten im globalen Süden haben? Die Wachstumsproblematik auf die Kammerarbeit heruntergebrochen könnte dabei bedeuten den Charakter der Gebührenordnungen mit Förderung von Technikeinsatz und Materialverbrauch und damit unangemessenem Wachstum oft ohne zusätzlichen Nutzen für
Patient*innen zu problematisieren. Es gibt hier ein großes Feld die eigentliche ärztliche Arbeit patientenschonender und ressourcenschonender zu gestalten.
Hierzu bedarf es möglichst unabhängiger begleitender Versorgungsforschung. Auch der Überarbeitung von Leitlinien und der Weiterbildungsordnung kommt in diesem Kontext eine zentrale Bedeutung zu.
Im Weiteren wären die bisherigen Aktivitäten der LÄKH auf eine Feigenblattaktion zu scannen bzw. in wieweit sie einen realen Fortschritt darstellen. Bisher waren die Ergebnisse des vom Präsidium eingesetzten Zweipersonen-Ausschusses eher bescheiden.
Nach Neufassung der Taxonomie Verordnung der EU mit der Kategorisierung von Erdgas und Atomenergie als nachhaltige Energieformen ergeben sich neue Herausforderungen für die Anlagepolitik des Versorgungswerkes. Hier sollten wir überlegen, wie wir in Bündnis mit anderen Aktiven mehr Druck in Richtung Klimaneutralität ohne Atom und Gas aufbauen können.
Praktisch soll weiterhin versucht werden das Thema Klimakrise und ihre Folgen vermehrt in wissenschaftlichen Artikel u.a. im Hessischen Ärzteblatt aufzugreifen. Es soll versucht werden dafür den Ausschuss Hygiene und Gesundheit zu gewinnen. Auch wäre es wünschenswert die Thematik zusammen mit den Aktivisten von Health for Future in der Akademie für ärztliche Weiterbildung zu platzieren.
Wir könnten versuchen in die Gesellschaft hinein zu wirken, indem wir die Kammer veranlassen auf die Einhaltung von EU- bzw. WHO-Normen z. B. zur Luftreinhaltung in den Kommunen zu drängen.
Um dies alles angehen zu können müssen wir unsere Öffentlichkeitsarbeit intensivieren und kontinuierlicher gestalten. Dazu sind erste Schritte unternommen worden. Auch wird das Thema Klimakrise und Klimagerechtigkeit für uns eine zentrale Bedeutung bei den Kammerwahlen 2023 haben.
Um in diesem Thema weiterzukommen benötigen wir Ihre/Deine Unterstützung. Sei es mit Kritik an unseren Positionen oder mit Vorschlägen zu deren Weiterentwicklung. Dies auch gerne zusammen mit anderen Gruppen die auf dem Feld Klimakrise/- gerechtigkeit und Gesundheit arbeiten. Auch Anregungen für die konkrete Kammerarbeit sind sehr willkommen. Vielleicht hat auch jemand Lust auf eine gemeinsame Veranstaltung. Wie auch immer, man kann auch erst einmal bei unseren (online-) Treffen zuhören. Kontakt: Barbara Jäger dr.b.jaeger@t-online.de
Bernhard Winter bfwinter@t-online.de
Pierre Frevert info@pierre-frevert.de
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